Pamphlet, 16 pages
German language
Published July 19, 1998 by Anares Nord.
Pamphlet, 16 pages
German language
Published July 19, 1998 by Anares Nord.
Während des Prozesses der Industrialisierung verschlechterten sich die Lebens- und Wohn-verhältnisse der unteren Klassen zunehmend. Diese besaßen eine ungeheure soziale Sprengkraft; um sie abzufedern, beschäftigte sich die bürgerliche Sozialreform mit der „ArbeiterInnenwohnungsfrage“. Mit der Entdeckung der „Wohnungsnot“ und dessen Institutionalisierung schufen sich Staat, Kirche und Kapital ein manipulierbares Spielfeld sozialer Fürsorge. Die Wohnung, der Ort der Reproduktion der Arbeitskraft, wurde zum Spielball bürgerlicher Sozialreform. Nicht die Lösung der Wohnungsfrage sollte in den Mittelpunkt gestellt werden, sondern die „Wohnungsnot“, die systemunabhängig betrachtet werden sollte. Dafür wurde ein eigenes Politikfeld geschaffen: die Wohnungspolitik. Innerhalb der Wohnungspolitik ging es aber nie nur darum, benötigten Wohnraum zu schaffen, sondern vielmehr darum, wie die Menschen zu Wohnen zu haben. Der konservativ-bürgerliche Sozialreformer Victor A. Huber schreibt 1857 über die Wohnungszustände der unteren Klasse, „daß sie in unzähligen, ja in den meisten Fällen die Hauptursache des sittlichen und leiblichen Verderbens von hunderttausenden von Familien und eben …
Während des Prozesses der Industrialisierung verschlechterten sich die Lebens- und Wohn-verhältnisse der unteren Klassen zunehmend. Diese besaßen eine ungeheure soziale Sprengkraft; um sie abzufedern, beschäftigte sich die bürgerliche Sozialreform mit der „ArbeiterInnenwohnungsfrage“. Mit der Entdeckung der „Wohnungsnot“ und dessen Institutionalisierung schufen sich Staat, Kirche und Kapital ein manipulierbares Spielfeld sozialer Fürsorge. Die Wohnung, der Ort der Reproduktion der Arbeitskraft, wurde zum Spielball bürgerlicher Sozialreform. Nicht die Lösung der Wohnungsfrage sollte in den Mittelpunkt gestellt werden, sondern die „Wohnungsnot“, die systemunabhängig betrachtet werden sollte. Dafür wurde ein eigenes Politikfeld geschaffen: die Wohnungspolitik. Innerhalb der Wohnungspolitik ging es aber nie nur darum, benötigten Wohnraum zu schaffen, sondern vielmehr darum, wie die Menschen zu Wohnen zu haben. Der konservativ-bürgerliche Sozialreformer Victor A. Huber schreibt 1857 über die Wohnungszustände der unteren Klasse, „daß sie in unzähligen, ja in den meisten Fällen die Hauptursache des sittlichen und leiblichen Verderbens von hunderttausenden von Familien und eben dadurch eine Quelle zunehmender Nachteile unter Umständen Gefahren für das Ganze, für das Gemeinwesen werden müssen“ (Huber 1857, 20). Hier deutet sich an, daß das Wohnen nicht nur eine Frage des individuellen Wohlergehens ist, sondern gesamtgesellschaftliche und bevölkerungspolitische Komponenten besitzt. Wohnungspolitik wurde zu einem Instrument und die Wohnung zum Ort der Disziplinierung von Individuen und der Regulierung und Normalisierung der Bevölkerung. Um zu bestimmen, was unter Disziplinierung, Regulierung und Normalisierung zu verstehen ist, sind ein paar theoretisch-erklärende Bemerkungen zu der verwendeten Begrifflichkeit notwendig, die sich auf den französischen Philosophen Michel Foucault und den Diskurstheoretiker Jürgen Link beziehen.