Hardcover, 491 pages
German language
Published Oct. 17, 1985 by Suhrkamp Verlag.
Hardcover, 491 pages
German language
Published Oct. 17, 1985 by Suhrkamp Verlag.
Reinhard Bendix ist ein Sozialwissenschaftler, der nicht zuletzt wegen seiner bedeutsamen Rolle als Vermittler zwischen europäischem und amerikanischem Denken bekannt ist. Er hat nun ein außergewöhnliches Buch geschrieben; eine Biographie, die zugleich eins soziologische Untersuchung ist. In der Biographie seines Vavers und in seinem eigenen Lebenslauf sieht Reinhard Bendix zu Recht exemplarische Lebensgeschichten, in denen die Probleme assimilierter Identitäten besonders deutlich werden.
Ludwig Bendix (1877–1954), in einem westfälischen Dorf geboren, kam 1892 mit seiner Familie nach Berlin. Er war in an die Gerechtigkeit glaubender Jurist, der sich ganz an die deutsche Kultur assimilieren wollte. Bis 1933, als Hitler an die Macht kam, war er praktizierender Rechtsanwalt und eine Zeitlang nebenamtlicher Richter an einem Berliner Arbeitsgericht, Neben seiner Berufstätigkeit schrieb er zahlreiche Bücher und Aufsätze und wurde als Kritiker des deutschen Rechtssystems weithin bekannt. 1933 wurde er aus der Berliner Anwaltskammer ausgeschlossen; 1937 schließlich des Landes verwiesen. Nach zehn Jahren Aufenthalt …
Reinhard Bendix ist ein Sozialwissenschaftler, der nicht zuletzt wegen seiner bedeutsamen Rolle als Vermittler zwischen europäischem und amerikanischem Denken bekannt ist. Er hat nun ein außergewöhnliches Buch geschrieben; eine Biographie, die zugleich eins soziologische Untersuchung ist. In der Biographie seines Vavers und in seinem eigenen Lebenslauf sieht Reinhard Bendix zu Recht exemplarische Lebensgeschichten, in denen die Probleme assimilierter Identitäten besonders deutlich werden.
Ludwig Bendix (1877–1954), in einem westfälischen Dorf geboren, kam 1892 mit seiner Familie nach Berlin. Er war in an die Gerechtigkeit glaubender Jurist, der sich ganz an die deutsche Kultur assimilieren wollte. Bis 1933, als Hitler an die Macht kam, war er praktizierender Rechtsanwalt und eine Zeitlang nebenamtlicher Richter an einem Berliner Arbeitsgericht, Neben seiner Berufstätigkeit schrieb er zahlreiche Bücher und Aufsätze und wurde als Kritiker des deutschen Rechtssystems weithin bekannt. 1933 wurde er aus der Berliner Anwaltskammer ausgeschlossen; 1937 schließlich des Landes verwiesen. Nach zehn Jahren Aufenthalt in Palästina ist er zusammen mit seiner Frau 1947 nach Amerika weitergewandert.
Reinhard Bendix, 1916 in Berlin geboren, emigrierte 1938 in die USA. Nach einem Studium in Chicago und kurzer Lehrtätigkeit an der University of Colorado lehrt er seit 1947 an der University of California in Berkeley.
„Die Spannungen des 20. Jahrhunderts spiegeln sich in dem Generationskonflikt wider, der in der Jugend am stärksten empfunden wird. Die Bürde unserer Zeit spiegelt sich aber auch in der Einsamkeit der Erwachsenen wider. Die Verfolgung unserer individuellen Interessen lockert die familiäre Verbindung zu denen, die wir lieben, und weil wir vielen Gruppen angehören, sind wir keiner einzigen wirklich ganz zugehörig.
Ich habe meinen eigenen Hintergrund für die Diskussion dieser zwei Problemkreise des Generationskonflikts und einer nur partiellen Gruppenzugehörigkeit gewählt. Dieser Hintergrund umfaßt Deutschland seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts bis zu dem systematischen Massenmord und seinen Folgen; die Entwicklung meiner Beziehungen zu meinem Vater, ein Thema, das bis zu eiem gewissen Grad auf meinen Großvater und meine Kinder ausgedehnt wird; die Lebensgeschichte meines Vaters und die Anfänge meiner eigenen Laufbahn; und schließlich die Emigration meines Vaters und die meinige aus Deutschland nach Palästina und in die Vereinigten Staaten.
Die Spannungen der modernen Welt sind durch die deutsche Geschichre seit 1870 deswegen besonders deutlich zum Ausdruck gebracht worden, weil die politische Einigung dieses Landes und seine schnelle Industrialisierung zeitlich zusammenfielen. Darüber hinaus haben viele Spannungen unserer Zeit ihren Ursprung in Deutschland; während der 30er und 40er Jahre haben sie apokalyptische Ausmaße angenommen. Der Erste Weltkrieg, die Revolution von 1918 und die darauf folgende Inflation, die Wirtschaftskrise der 30er Jahre, die Auflösung der Weimarer Republik, die Jahre der Hitlerdiktatur und des Massenmordes, der Zweite Weltkrieg und seine Folgen (die Teilung Deutschlands und die Gründung des Staates Israel), schließlich die weltpolitische Rolle der Vereinigten Staaten und ihre Auswirkung auf Europa: das sind die geschichtlichen „Stationen“ unserer familiären Erfahrung.
Dieses Buch behandelt das allgemeine Problem partieller Zugehörigkeit, der Randexistenz und des Außenseitertums unter dem besonderen Gesichtspunkt der Jahre des Hitlerregimes. Es versucht, die persönlichen Folgen dieser Jahre für eine spätere Generation 2u beschreiben, für die diese Folgeerscheinungen verblaßt oder bedeutungslos geworden sind, Beschwörungen des Holocaust sollten nicht das einzige Mittel sein oder werden, um einer späteren Zeit 2u vermitteln, wie dieses barbarische Regime sich auf das Leben gewöhnlicher Menschen ausgewirkt hat.
In der modernen Welt der westlichen Zivilisation sind wir alle mit dem doppelten Dilemma des Individualismus und des Staatsbürgertums konfrontiert. Vielleicht handelt es sich sogar um das dreifache Problem des Individuums, der Nation und der intermediären Gruppen, die letztlich sowohl mit dem Individualismus als auch mit dem Nationalismus unvereinbar sind. Aber nur letztlich. In der Welt, in der wir leben, existieren alle drei — Individualismus, Nationalismus und intermediäre Gruppen in unsicheren Kombinationen.“
Reinhard Bendix’ Bericht zeigt, da sein Vater Ludwig Bendix für den größeren Teil seines Lebens davon überzeugt war, die völlige Identifikation mit seinem Heimatland Deutschland erreicht zu haben. Am Ende erwies sich diese Überzeugung als Illusion, während Reinhard Bendix durch die Umstände gezwungen wurde, jene Identifikation aufzugeben, bevor sie sich recht ausbilden konnte. Beide mußten sich in eine Gesellschaft mit vielen Gruppen und mannigfachen Anbildungen anpassen – Lebensgeschichten, die exemplarisch das Schicksal des Individualismus im 20. Jahrhunderts veranschaulichen.
Umschlag: Hermann Michels