Peter73 reviewed Joseph und seine Brüder by Thomas Mann (Stockholmer Gesamtausgabe der Werke von Thomas Mann)
Genealogie, Traum, Versöhnung: Mein Weg durch Joseph und seine Brüder
4 stars
Die Tetralogie Joseph und seine Brüder von Thomas Mann lese ich als weit ausgreifenden Kommentar zu Herkunft, Zeit und Erzählbarkeit. Aus der biblischen Vorlage formt Mann ein Epos in vier Büchern: Die Geschichten Jakobs, Der junge Joseph, Joseph in Ägypten, Joseph der Ernährer. Ich folge Jakob, seinen Söhnen und vor allem Joseph, dessen Sturz in die Grube, Verkauf nach Ägypten und späterer Aufstieg mich zugleich mythisch erhebt und menschlich berührt. Die Träume weisen den Weg; ihr Sinn schält sich langsam aus Sprachspielen, Etymologien und gelehrten Parallelen zu altorientalischen Mythen.
Besonders bewegt mich Mut-em-enet, Potiphars Frau. In einer einzigen Szene bündeln sich Versuchung, Macht und Verletzlichkeit. Josephs Weigerung wirkt nicht asketisch, sondern klug, weil sie aus Selbstachtung entsteht. Im Gefängnis, wo er Träume deutet, spüre ich das Grundmotiv des Werks: Wissen als Dienst. Wenn er schließlich die Visionen des Pharao erklärt und zum Verwalter wird, sehe ich eine Ethik der …
Die Tetralogie Joseph und seine Brüder von Thomas Mann lese ich als weit ausgreifenden Kommentar zu Herkunft, Zeit und Erzählbarkeit. Aus der biblischen Vorlage formt Mann ein Epos in vier Büchern: Die Geschichten Jakobs, Der junge Joseph, Joseph in Ägypten, Joseph der Ernährer. Ich folge Jakob, seinen Söhnen und vor allem Joseph, dessen Sturz in die Grube, Verkauf nach Ägypten und späterer Aufstieg mich zugleich mythisch erhebt und menschlich berührt. Die Träume weisen den Weg; ihr Sinn schält sich langsam aus Sprachspielen, Etymologien und gelehrten Parallelen zu altorientalischen Mythen.
Besonders bewegt mich Mut-em-enet, Potiphars Frau. In einer einzigen Szene bündeln sich Versuchung, Macht und Verletzlichkeit. Josephs Weigerung wirkt nicht asketisch, sondern klug, weil sie aus Selbstachtung entsteht. Im Gefängnis, wo er Träume deutet, spüre ich das Grundmotiv des Werks: Wissen als Dienst. Wenn er schließlich die Visionen des Pharao erklärt und zum Verwalter wird, sehe ich eine Ethik der Vorsorge und der heiteren Disziplin, fern von Zynismus.
Mann dehnt die Zeit nach hinten und nennt sie Tiefenzeit. Herkunftsschichten öffnen sich, bis Genealogie zu Erzählstoff wird. Diese geologischen Bilder machen mich staunend und demütig. Die Sprache ist reich, ironisch lächelnd, manchmal verspielt. Sie bittet mich, langsam zu lesen. Die Exkurse entzaubern die biblische Geschichte nicht, sie lassen sie neu leuchten.
Am Ende, wenn Joseph seine Brüder prüft und doch versöhnt, empfinde ich Wärme ohne Kitsch. Die Heimkehr des gealterten Jakob rührt mich, weil sie zeigt: Herkunft ist keine Fessel, sondern ein Gespräch über Generationen, offen, geduldig und verantwortungsvoll. So bleibt Joseph für mich das Bild eines kundigen Vermittlers zwischen Erinnerung und Zukunft.
