Peter73 reviewed Les Mots by Jean-Paul Sartre
Bücher als Masken, Worte als Spiegel: Mein Blick auf Sartres „Die Wörter“
5 stars
Ich lese „Die Wörter“ als schonungslose Kindheitsinventur, in der Jean-Paul Sartre seine frühen Jahre in zwei Bewegungen ordnet: „Lesen“ und „Schreiben“. Der Vater ist früh tot, die Mutter und die großbürgerlichen Großeltern geben den äußeren Rahmen. In der Wohnung des Großvaters, eines gebildeten, strengen Mannes, wird die Bibliothek zum Spielplatz und zugleich zum Altar. Ich spüre beim Lesen die Mischung aus Geborgenheit und Inszenierung: Bücher sind Trost, aber auch Bühne, auf der ein überernstes Kind lernt, sich selbst zu applaudieren.
Sartre beschreibt, wie das Lesen ihn in eine Welt der Rollen versetzt. Er verschlingt Abenteuer, übernimmt Posen, richtet sich eine kleine Privatmythologie ein. Darin liegt Zärtlichkeit und Gefahr zugleich. Aus dem stillen, beobachteten Jungen wird ein Regisseur der eigenen Legende. Das Schreiben folgt als zweite Stufe: Er erfindet Geschichten, um die Welt zu überbieten, und merkt doch, dass er Nähe eher ersetzt als gewinnt. Das Wort hebt, schützt, täuscht. …
Ich lese „Die Wörter“ als schonungslose Kindheitsinventur, in der Jean-Paul Sartre seine frühen Jahre in zwei Bewegungen ordnet: „Lesen“ und „Schreiben“. Der Vater ist früh tot, die Mutter und die großbürgerlichen Großeltern geben den äußeren Rahmen. In der Wohnung des Großvaters, eines gebildeten, strengen Mannes, wird die Bibliothek zum Spielplatz und zugleich zum Altar. Ich spüre beim Lesen die Mischung aus Geborgenheit und Inszenierung: Bücher sind Trost, aber auch Bühne, auf der ein überernstes Kind lernt, sich selbst zu applaudieren.
Sartre beschreibt, wie das Lesen ihn in eine Welt der Rollen versetzt. Er verschlingt Abenteuer, übernimmt Posen, richtet sich eine kleine Privatmythologie ein. Darin liegt Zärtlichkeit und Gefahr zugleich. Aus dem stillen, beobachteten Jungen wird ein Regisseur der eigenen Legende. Das Schreiben folgt als zweite Stufe: Er erfindet Geschichten, um die Welt zu überbieten, und merkt doch, dass er Nähe eher ersetzt als gewinnt. Das Wort hebt, schützt, täuscht. Sartre nennt das Mythomanie, und mich trifft die Klarheit, mit der er dieses süße Gift seziert.
Die späte Pointe ist keine bittere Abrechnung, sondern eine nüchterne Umkehr. Sartre durchbohrt die Selbststilisierung und erklärt Literatur zum unzureichenden Heilmittel. Er will nicht länger nur gefallen, nicht länger ein Wunderkind im Spiegelkabinett sein. Aus dem bequemen Kult des Wortes soll Verantwortung werden. Diese Wendung lese ich als vorbereitenden Schritt zu dem Denker, der Freiheit und Engagement zusammendenkt. Sie ist unbequem, weil sie das Liebste in Frage stellt, und gerade deshalb überzeugend.
Stilistisch begegne ich einem Ton aus Ironie, Präzision und kontrollierter Zärtlichkeit. Kurze Kapitel, scharfe Bilder, kleine Stichworte, die ganze Räume öffnen. Kein sentimentaler Rückblick, eher das Laborprotokoll eines Bewusstseins, das seine Tricks vorführt und gleichzeitig entlarvt. Ich war bewegt von der Fairness gegenüber der Mutter, von der Strenge gegenüber dem eigenen Eitelkeitsvorrat und von der leisen Trauer darüber, wie leicht Lesen und Schreiben zu Masken werden. „Die Wörter“ ist für mich kein Denkmal, sondern eine Reparaturarbeit am Selbst. Es lehrt mich, dass Worte erst tragen, wenn sie nicht bloß Dekor sind, sondern Brücken zur Welt – und zu den Menschen, die in ihr antworten.
