Mit diesen Büchern, die jeder gelesen hat, ist es ja so: Entweder gehört man auch zu denen, die es zu seiner Zeit gelesen haben, oder die Enttäuschung ist fest vorprogrammiert, das Buch grotesk überbewertet und absolut nicht nachvollziehbar, woher der gute Ruf kommt.

Insofern ist der Medicus doch mehr als angenehm überraschend. Zwar handelt es sich um einen Schmöker von über 600 Seiten und die Geschichte ist nicht besonders aufregend, doch kann Gordon mit einem geradlinigen Stil und solider Recherche überzeugen, und so schafft er es, eine Spannung zu erzeugen, die immer nur darauf fußt, was als Nächstes passiert. Es gibt nur wenige Actionszenen, kaum Gelegenheiten, dass etwas schief gehen könnte, und praktisch keine ungeklärten Fragen. Trotzdem ist es fast unmöglich, sich der Faszination der Erzählung zu entziehen, denn es geschieht immer wieder etwas Neues, und jede Etappe ist von gleicher Detailversessenheit und einem greifbaren Spaß am Ausarbeiten geprägt.

Am Ende ist man Zeuge fast eines ganzen Lebens geworden, und der runde Schluss erfüllt mit einer Zufriedenheit, wie es selten einem Buch gelingt. Das kann gut darüber hinwegtrösten, dass hier keine Ambition zu erkennen ist, etwas Relevantes zu sagen oder eine Einsicht zu schaffen. Manchmal reicht es eben aus, wenn das Handwerk stimmt.