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Christian Kracht: 1979 : ein Roman (German language, 2012) 5 stars

Review of '1979 : ein Roman' on 'Goodreads'

5 stars

Dieses Buch ragt als schwarzglänzender Monolith aus der Masse der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur heraus. Es ist vorgeblich ästhetisch, kalt, grausam, ekelig, abstoßend, aber auch faszinierend und einnehmend. Man kann nicht aufhören zu lesen.
Kracht erzählt auf knapp 180 Seiten die Geschichte eines namenlosen Ich-Erzählers, der sich zusammen mit seinem Geliebten Christopher als Angehörige der internationalen Jetset-Szene zu der Zeit in Teheran aufhalten, als die islamische Revolution den Schah stürzt. Doch die Revolution kommt nur am Rande vor und spielt für die beiden Protagonisten keine Rolle. Wichtiger sind Kleidung, Einrichtung, Partys, Drogen und Alkohol. Hier ähneln die Figuren den Protagonisten in Krachts Erstling „Faserland“. Wie dort steht auch in diesem Buch nicht das Literarische, sondern das Atmosphärische im Vordergrund. Das Buch ist noch stärker von einem Weltenhass durchzogen ergänzt durch einen erschreckenden Selbsthass.
Das Buch nimmt sich viele Anleihen in der Dekadenz. Man entdeckt Parallelen zu Ellis und Houellebecq, aber auch noch viel weiter zurückgreifende. Es lassen sich Spuren bis ins frühe 20. Jahrhundert finden, als alles morgenländische bereits einmal die westliche Literatur faszinierte. Zu nennen wären hier Robert Byron und Christopher Sykes (man achte auf den Vornamen).
Aber auch die Reiseliteratur eines Bruce Chatwin findet ihren Niederschlag in diesem Roman. Der Roman ist aufgemacht wie ein Reiseroman. Nur, dass die Reise in diesem Roman keine Erleuchtung oder Erkenntnisgewinnung bringt, sondern einen Abstieg in die dunkelsten Tiefen der Hölle führt.
Denn nach dem sein Freund Christopher nach einer alkohol- und drogengetränkten Nacht in einer Teheraner Villa stirbt, wird der Erzähler von einem mysteriösen Partygast nach Tibet geschickt, um seine Seele durch eine Pilgerreise zum Berg Kailash zu reinigen.
Mit dieser Plotentwicklung macht Kracht deutlich, dass sein Erzähler kein eigenständig Handelnder ist. Er weiß nicht, was er will oder was er wollen sollte. Er ist, obwohl der Erzähler, mehr Objekt als Subjekt. Dieses Auftreten sorgt beim Leser für eine wachsende Verachtung gegenüber dieser Figur.
Diese Entwicklung verstärkt sich noch, als er während seiner Pilgerreise verhaftet und als vermeintlich russischer Spion in einem chinesischen Arbeitslager endet. Hier tritt zum Abschluss neben das moralische und das Intelligenzvakuum nun auch noch ein physisches. Erst hier im schlimmsten Lageralltag, dass als einziges Ziel die Auslöschung des Individuums hat, gibt es die einzige Selbsterkenntnis des Erzählers, wenn er gegen Ende feststellt „Ich habe mich gebessert!“
Mit diesem Ende erreichen der ästhetische Extremismus und die gesellschaftliche Aggressivität der Popliteratur ihren absoluten Höhe- und Endpunkt. Hier wird eine Sehnsucht nach Untergang deutlich, die bei allen Extremisten gleich ist. Als Leser bleibt man am Ende fasziniert und zugleich erschüttert zurück.