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Geiger  Arno: Unter der Drachenwand (Hardcover, 2018, Hanser) 5 stars

Review of 'Unter der Drachenwand' on 'Goodreads'

5 stars

Mit „Unter der Drachenwand“ erzählt uns Arno Geiger die Geschichte des jungen Wiener Soldaten Veit Kolbe, der nach einer Verwundung an der Ostfront zur Rekonvaleszenz an den Mondsee im Salzkammergut kommt. Die Handlung umfasst das Jahr 1944. Der Mondsee und seine Umgebung wirken wie eine Insel des Friedens im Schrecken des Großen Weltenkrieges.
Doch wie der Buchtitel schon deutlich macht liegen Schrecken und Idylle nah beieinander und gehen auch in einander über. Im Roman bricht der Krieg immer wieder ein, durch Bomberstaffeln, die über Mondsee hinweg fliegen. Später durch Flüchtlinge, die immer zahlreicher werden.
Veit Kolbe ist selbst ein vom Krieg Gezeichneter. Heute würde man ihm eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizieren. Im Roman spricht er nur von seinen nervösen Anfällen, gegen die ihm nur Ritalin hilft.
Er trifft in Mondsee auf den Querschnitt der deutschen Bevölkerung in der Endzeit des Dritten Reiches. Mehrheitlich sind das Duckmäuser und an den Endsieg Glaubende, aber auch solche, die den Untergang einfach irgendwie überleben wollen. Solitär bleibt der „Brasilianer“, ein gegen seinen Willen zurückgekehrter Einheimischer, der als einziger seine Abscheu gegen über Führer, Volk und Vaterland offen bekundet.
Veit Kolbe schweigt hingegen. Er vertraut sich nur seinen Aufzeichnungen an, die die Erzählstimme dieses Buches bilden. Somit erfährt der Leser seine Beobachtungen und Gedanken und wird von ihm als Erzählstimme voll und ganz eingenommen.
Geiger gelingt es, seinem Schreiben einen ganz eigenen Rhythmus zu geben. Dafür bedient er sich eines einfachen Mittels, des Schrägstrichs. Zunächst stutzt man beim Lesen, aber je länger man liest, um so überzeugender wirkt dieses Stilmittel. Besonders erkennbar wird es, wenn man den Text laut liest.
Doch Veit Kolbe ist nicht die einzige Stimme, die Geiger erzählen lässt. Unterbrochen werden seine Aufzeichnungen durch die Briefe zweier Nebenfiguren. Das sind zum einen die Briefe des Wiener Schülers Kurt Ritlers an seine Freundin Nanni, die an den Mondsee verschickt wurde, sowie um anderen die Briefe einer Darmstädter Mutter an ihre Tochter Margot, die mit ihrer neugeborenen Tochter ebenfalls an den Mondsee verschickt wurde.
Beide Stimmen geben weitergehende Einblicke in die Gemütslage der Deutschen am Ende des Dritten Reiches.
Eine weitere Stimme ergibt sich aus den Aufzeichnungen des Wiener Juden Oskar Meyer, der in seinen Aufzeichnungen über die Flucht seiner Familie nach Budapest berichtet. Die Aussichtslosigkeit und Verzweiflung, die darin zum Ausdruck kommen, gehen einem als Leser besonders nah.
Mit dem letzten Kapitel gelingt dann Geiger ein besonderer Clou. Da er hier mit eigener Stimme spricht, sät er im Leser Zweifel, ob das, was er alles über die letzten 470 Seiten gelesen hat, wirklich Fiktion ist oder ob es nicht auf einer real existierenden Quellenlage basiert. Mit diesem Dreh macht Geiger sein sehr gutes Buch zu eine, Meisterwerk.