Kippendes Worldbuilding vereitelt gute PrÀmisse
2 stars
Content warning Spoiler fĂŒr das ganze Buch, aber fast nur Meta, kaum Details.
Habe das Buch ohne jedes Vorwissen bekommen, nachdem @maj@weirder.earth so begeistert vom Hörbuch war, dass sie mir das (analoge) Buch schenkte. Ich bin ein bisschen hin und her gerissen. Einerseits mochte ich (nach einem langsamen Start) so den Teil 10-40% vom Buch. Die Idee mit der Zeitreise nimmt endlich Gestalt an und wir lernen eine Hexe kennen! Die Hexen waren im ganzen Buch auch meine Highlights :) Sehr stur, nicht mit allem in der Postmoderne einverstanden und unterhaltsam. Bis dahin war mit viel AugenzudrĂŒcken auch die Magie-/Zeitreisegeschichte halbwegs glaubwĂŒrdig. Dann kam eine â realistische aber nichtsdestotrotz öde â lĂ€ngere Phase in der die kleine Ideenschmiede unter lauter BĂŒrokratie zum militĂ€rischen GroĂprojekt ausgebaut wird. An sich Ă€hnlich anstrengend zu lesen wie AmtsgĂ€nge sich anfĂŒhlen. Dann kommt endlich wieder Leben in die Bude: Mehr Zeitreisen, Verrat (der leider von Anfang an klar war), Doppelverrat und Verdolgungsjagden. Leider ist es damit um das geschehen, was das HerzstĂŒck des Buchs sein sollte: Worldbuilding und realitĂ€tsnahe, glaubwĂŒrdige technische Entwicklungen. Wird beides komplett ĂŒber Bord geworfen. Was halt schade ist, denn wenn die PrĂ€missen weg sind, dann geht halt auch die Spannung flöten. Mich erinnerten die zweite HĂ€lfte des Buchs und der Showdown an so viele Aktionfilme, die mit einer PrĂ€misse starten (zB man kann Bösewicht Z nicht umbringen), 80min damit arbeiten und dann im letzten Gefecht doch zulassen, dass genau das geschieht, weil ihnen kein besseres Ende eingefallen ist. Oder so eine Geschichte, an deren erster HĂ€lfte man zwölf Monate schreibt und die man vor der Frist dann eben noch ĂŒber Nacht vollenden muss. Sehr schade.
Es hieĂ ja, dass der Autor fĂŒr so realistisches Worldbuilding bekannt ist, kA was ihn dann dazu geritten hat. Ich fand es auch ein bisschen anstrengend, dass ausgerechnet das banale Schrödingers Kater das einzige greifbare wissenschaftliche Konzept war, auf dem aufgebaut wird. Ich wĂ€re da von dem Buch gerne etwas mehr zum Mitdenken angeregt worden.
++ Ab hier richtige Spoiler ++
Was mich ansonsten wirklich gestört hat:
-
ZwangsheterosexualitÀt sondersgleichen. Es kommen mehr als ein Dutzend Semi-Hauptcharaktere vor und alle sind cis und hetero. Queers kommen ein einziges Mal vor und sterben wenige AbsÀtze spÀter. Bury your gays galore. Im Jahr 2022. FÀllt mir schwer, da keinen Vorsatz zu sehen.
-
ZwangsheterosexualitĂ€t II: Unsere Hauptchara schwĂ€rmt natĂŒrlich auch das ganze Buch hindurch fĂŒr den Typen mit dem sie arbeitet. Auch wenn der 0 Charisma oder Charakter hat. Sie hat auch nie was mit jemand anderem. Es ist sehr anstrengend.
-
Sexismus: Ugh, unsere Hauptchara hat fast keine Agency, wird die ganze Zeit vom Angebeteten und ihren Chefs herumkommandiert. Belastend und langweilig. Raufasertapete ist spannender. Hoffte zwischendrin, sie wĂŒrde einfach sterben und jemand anderes (vllt eine der Hexen?) weiter erzĂ€hlen. GĂ€be es die Hexen nicht, dann hĂ€tte das Buch auch keine Chance gehabt, den Bechdel Test zu bestehen: Frauen sprechen stĂ€ndig nur ĂŒber (ihre) Typen. Und die Typen sind die, die kĂ€mpfen, die Technik bauen. Frauen halten ihnen den RĂŒcken frei, ĂŒbersetzen, heilen, machen BĂŒroarbeit⊠ist das ein Sci-Fi-Buch oder ein konservativer feuchter Traum?!
-
Exotisierung: Wissenschaftler Frank Oda ist Asian-American. Im ganzen Buch heiĂt er stĂ€ndig Oda-sensei. Komischerweise bekommen Leute aus anderen LĂ€ndern keine passenden Titel, westliche Japan-Fixierung auch in diesem Buch stark. Seine Frau putzt und kocht ihm nicht nur stĂ€ndig hinterher (und macht den Garten) als sei das Buch eine 50er Jahre Werbung, nein, natĂŒrlich schleppt sie auch Matcha-Utensilien mit sich rum und kredenzt ihrem Gatten ebensolchen. Autsch. WĂ€re er Deutscher, wĂŒrde sie ihm stĂ€ndig eine Kuckucksuhr hinterhertragen? Unwahrscheinlich.
All diese strukturellen Issues haben mir das Buch leider ganz schön verleitet, obwohl ich es ja bis kurz vor der HĂ€lfte mit viel AugenzudrĂŒcken mochte. War auch vom Aufbau her spannend, Ă€hnlich wie eine TV Serie! Die zwote HĂ€lfte wiederum zog sich elends und ich bin jetzt froh, dass es rum ist. Und bitter ĂŒber das Ende, weil so âund jetzt sind wir mittendrin liebe Lesenden und kĂ€mpfen weiterâ Enden einfach unkreativ sind. Zwei Sterne fĂŒr die Hexen.