Reviews and Comments

Peter73 Locked account

Peter73@bookwyrm.social

Joined 5 months, 2 weeks ago

This link opens in a pop-up window

Virginia Woolf: Three Guineas (Paperback, 1978, Penguin Books)

Those who consider that Virginia Woolf was too wrapped up in her art and set …

Drei Guineen, drei Wege: Mein Blick auf „Three Guineas“

Ich lese „Three Guineas“ von Virginia Woolf als brisante Briefkorrespondenz mit der Öffentlichkeit. Ausgangspunkt ist eine scheinbar einfache Frage: Wie lässt sich Krieg verhindern. Woolf antwortet in der Form eines höflichen, beharrlichen Widerspruchs. Sie verknüpft Bilder von Uniformen und militärischer Pracht mit den geschlossenen Türen von Colleges, Berufen und Clubs. Während ich folge, spüre ich, wie das Private und das Politische ineinander greifen. Die Erniedrigungen, die Frauen in Bildung und Beruf erfahren, sind für Woolf Keimzellen jener Autoritätskultur, die Kriege möglich macht. Der Ton bleibt gelassen, doch unter der Ruhe vibriert Entschlossenheit.

Die drei Guineen strukturieren den Text und meine Lektüre. Die erste spende ich mit ihr an die Bildung von Frauen, damit geistige Unabhängigkeit und ein eigenes Einkommen entstehen. Die zweite geht an eine Vereinigung, die Frauen den Zugang zu professionellen Laufbahnen sichert, allerdings ohne die Werte der Hierarchie zu kopieren. Die dritte richtet sich an die Bewegung …

reviewed A moveable feast by Ernest Hemingway (A Scribner classic)

Ernest Hemingway: A moveable feast (1986, Charles Scribner's Sons)

Paris in My Hands, Light as Wine

Als ich „A Moveable Feast“ las, hatte ich das Gefühl, Hemingway hätte mich eingeladen, mit ihm durch Paris zu spazieren, als die Stadt noch das rohe Versprechen von Jugend und Hunger in sich trug. Die Memoiren basieren auf seinen Erinnerungen an die 1920er Jahre, lesen sich jedoch wie eine Reihe ruhiger Porträts, in denen jeder Moment sorgfältig festgehalten wurde. Ich fand mich wieder in Cafés, kalten Mietzimmern und langen Straßen, in denen Hemingway Disziplin und Sehnsucht in Einklang brachte. Sein Schreibstil ist sparsam, aber die Emotionen dahinter bildeten einen stetigen Puls, den ich nicht ignorieren konnte.

Als er beschrieb, wie er jeden Morgen an seinen Geschichten arbeitete, spürte ich die Anstrengung und die Belohnung, die sich aus dem Kampf um Klarheit ergibt. Sein Bekenntnis zu einer einfachen Sprache ließ mich darüber nachdenken, wie Ehrlichkeit auf dem Papier fast körperlich spürbar sein kann. Ich spürte die Einsamkeit, die mit Ehrgeiz …

reviewed King Henry VIII by William Shakespeare

William Shakespeare: King Henry VIII (1990)

Krone, Gewissen, Kulisse: Mein Blick auf Shakespeares „King Henry VIII“

Ich lese „King Henry VIII“ William Shakespeare als prunkvolles Geschichtstheater, das Macht sichtbar macht und Menschen verschleißt. Seite für Seite schreitet die Handlung wie eine Prozession vorüber: Einzüge, Anklagen, Audienzen. Während ich dieser höfischen Dramaturgie folge, denke ich daran, wie auch die französische Literatur historische Stoffe nutzt, um politische Rhetorik zu prüfen und Zeitgeist zu spiegeln. Der Glanz der Zeremonien betört mich kurz, doch dahinter höre ich das knirschende Räderwerk der Interessen.

Im Zentrum stehen Aufstieg und Fall: Der hochgewachsene Kardinal Wolsey lenkt zunächst das Reich und das Gewissen des Königs, bis Intrige, Papier und eigenmächtige Korrespondenz ihn stürzen. Seine späten Worte, leise und klar, lassen mich Mitgefühl empfinden für einen Mann, der zu lange glaubte, über der Ordnung zu stehen. Parallel entfaltet sich das Schicksal Königin Katherina. Im Prozess um die Eheannullierung zeigt sie Würde, Klugheit und Schmerz. Ihre Reden berühren mich mehr als jedes Fanfarenmotiv, weil sie …

Bernard Werber: Les Thanatonautes (French language, 1994, Éditions Albin Michel)

L'homme a tout exploré : le monde de l'espace, le monde sous-marin, le monde souterrain …

Grenzgänger des Todes: Mein Blick auf Die Thanatonauten

Wenn ich Die Thanatonauten von Bernard Werber lese, habe ich das Gefühl, einem großen Experiment beizuwohnen. Für mich ist dieser Roman ein eigensinniger Beitrag zu dem, was wir als französische Literatur kennen: spielerisch, spekulativ, philosophisch und zugleich sehr erzählerisch. Die Grundidee wirkt kühn und beunruhigend zugleich: Der Tod wird zu einem Territorium erklärt, das man wie einen neuen Kontinent erforschen kann. Statt Seele und Jenseits im Religiösen zu belassen, rückt Werber sie in ein quasi-wissenschaftliches Labor.

Ich folge Michael Pinson und den anderen Thanatonauten, die mittels kontrollierter Nahtoderfahrungen Karten des „Kontinents der Toten“ erstellen. Ich spüre beim Lesen eine Mischung aus kindlicher Neugier und Unbehagen: Der Roman verknüpft mythologische Vorstellungen, Bibelzitate, esoterische Motive und futuristische Technik zu einem Mosaik, das mich zugleich fasziniert und irritiert. Je genauer die Forscher die Zonen des Jenseits beschreiben, desto stärker empfinde ich die Anmaßung, alles vermessen zu wollen, sogar den Übergang aus dem …

P. D. James: The Children of Men (Paperback, Vintage)

The year is 2021, and the human race is - quite literally - coming to …

Letzte Wiege, leere Straßen: Mein Blick auf Im Land der leeren Häuser

P. D. James’ Im Land der leeren Häuser (The Children of Men) ist ein gutes Beispiel für dystopische Literatur. Seit Jahren werden keine Kinder mehr geboren, die Menschheit altert, Städte verwaisen, Spielplätze verrosten. Ich spüre beim Lesen eine langsame, schwere Trauer, die nicht schreit, sondern in stillen Ritualen nachhallt: Geburtstage ohne Kinder, Katzen und Hunde als Ersatzfamilien, Museen der Erinnerung.

Erzähler ist Theo Faron, ein Oxford-Historiker mit geübter Distanz. Sein Cousin Xan regiert als „Warden of England“ und hält eine müde Ordnung aufrecht, flankiert von entwürdigenden Quietus-Zeremonien. Ich folge Theo, wie er auf eine kleine Widerstandsgruppe trifft, die mehr sucht als Verwaltung des Endes: Gerechtigkeit, Verantwortung, Sinn. In ihrer Mitte steht Julian, und plötzlich zeigt die Geschichte eine Unmöglichkeit, die Hoffnung heißt. Der Weg durch Wälder, verlassene Dörfer und alte Pfarrhäuser wirkt auf mich wie eine Pilgerfahrt ohne Heiligenschein, doch mit ernstem Ziel: das Leben zu schützen, bevor …

Alice Walker: The Color Purple (Paperback, Harcourt)

The Color Purple is the story of two sisters-one a missionary to Africa and the …

Violett als Widerstand: Mein Weg durch The Color Purple

Alice Walkers Die Farbe Lila lese ich als stilles, machtvolles Herzstück der Amerikanischen Literatur. In Briefen, zuerst an Gott, später an die Schwester Nettie, höre ich Celies Stimme: brüchig, vorsichtig, dann fester. Das Briefroman-Format zwingt mich zur Nähe; ich werde Mitleser, Mitwisser, manchmal hilfloser Zeuge. Hinter jedem kurzen Satz spüre ich eine lange Geschichte von Schmerz und der zähen Suche nach Würde.

Ich begleite Celie durch ein Leben, das von patriarchaler Gewalt, Rassismus und ökonomischer Enge geprägt ist. Doch Walker öffnet Räume: Shug Avery, sinnlich, frei, wird für Celie zur Lehrmeisterin der Selbstachtung; Sofia verkörpert trotziges Nein-Sagen; Netties Berichte aus Afrika weiten den Blick, ohne das Lokale zu überblenden. Was mich bewegt, ist der stille Umbau der Welt: nicht durch Pathos, sondern durch kleine, konkrete Handlungen – nähen, arbeiten, schreiben, benennen. Die Farbe Violett wird zum Sinnbild für Aufmerksamkeit: die Fähigkeit, Schönheit wahrzunehmen, auch wenn sie kaum zu …

Agatha Christie: They Came to Baghdad (Agatha Christie Collection) (2001, Collins Crime)

E-book exclusive extras: 'Agatha Christie in Baghdad,' extensive selections from Agatha Christie: An Autobiography. Plus: …

Wüstensand, Tarnnamen, Zufall: Mein Weg durch „They Came to Baghdad“

Agatha Christies Roman trifft mich als schneller, staubiger Spionagesturm. Ich begleite die impulsive Londoner Stenotypistin Victoria Jones, die einem flüchtigen Charmeur nach Bagdad folgt und dort in eine internationale Verschwörung gerät. Eine geheime Konferenz soll über Frieden reden, doch Schattenleute planen Sabotage. In einem Hotelkorridor stirbt ein Mann in Victorias Armen und flüstert letzte Worte – plötzlich trage ich mit ihr eine Botschaft, deren Sinn ich erst viel später begreife. Bazaare, Botschaften, Hinterzimmer: Ich spüre Hitze, Misstrauen und die seltsame Leichtigkeit, mit der Identitäten wechseln.

Christie erzählt ohne Poirot und Marple, dafür mit Tempo, Verkleidung und Reiseglanz. Ich mag Victorias Einfallsreichtum: Sie stolpert, lernt, riskiert, improvisiert. Ein Ausflug zu einer archäologischen Grabung öffnet mir einen zweiten Horizont: Staubige Schichten der Geschichte reiben sich an kalten Gegenwarten der Politik. Zwischen falschen Pässen, toten Winkeln und Doppelspielen tauchen klare Motive auf: Gier nach Einfluss, Heilsversprechen von Ideologien, Sehnsucht nach Bedeutung. Ich …

reviewed Joseph und seine Brüder by Thomas Mann (Stockholmer Gesamtausgabe der Werke von Thomas Mann)

This remarkable new translation of the Nobel Prize-winner’s great masterpiece is a major literary event.

Genealogie, Traum, Versöhnung: Mein Weg durch Joseph und seine Brüder

Die Tetralogie Joseph und seine Brüder von Thomas Mann lese ich als weit ausgreifenden Kommentar zu Herkunft, Zeit und Erzählbarkeit. Aus der biblischen Vorlage formt Mann ein Epos in vier Büchern: Die Geschichten Jakobs, Der junge Joseph, Joseph in Ägypten, Joseph der Ernährer. Ich folge Jakob, seinen Söhnen und vor allem Joseph, dessen Sturz in die Grube, Verkauf nach Ägypten und späterer Aufstieg mich zugleich mythisch erhebt und menschlich berührt. Die Träume weisen den Weg; ihr Sinn schält sich langsam aus Sprachspielen, Etymologien und gelehrten Parallelen zu altorientalischen Mythen.

Besonders bewegt mich Mut-em-enet, Potiphars Frau. In einer einzigen Szene bündeln sich Versuchung, Macht und Verletzlichkeit. Josephs Weigerung wirkt nicht asketisch, sondern klug, weil sie aus Selbstachtung entsteht. Im Gefängnis, wo er Träume deutet, spüre ich das Grundmotiv des Werks: Wissen als Dienst. Wenn er schließlich die Visionen des Pharao erklärt und zum Verwalter wird, sehe ich eine Ethik der …