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Heinrich Heine: Atta Troll. Ein Sommernachtstraum. (Paperback, 1977, Reclam, Ditzingen)

Tanzende Bären und träumende Dichter: Meine Reise durch Heines Atta Troll: Ein Sommernachtstraum

Heinrich Heines Versepos Atta Troll: Ein Sommernachtstraum, 1847 veröffentlicht, ist ein ebenso ironisches wie poetisches Werk, das auf unterhaltsame Weise Politik, Romantik und künstlerische Selbstreflexion miteinander verwebt. Beim Lesen fühlte ich mich wie in einem Märchen, das auf Schritt und Tritt mit dem Augenzwinkern der Moderne spielt.

Im Zentrum steht der Bär Atta Troll, ein tanzender Zirkusbär, der ausbricht, um in den Pyrenäen von einer besseren Welt zu träumen – einer Welt der Freiheit, Gleichheit und Vernunft. Doch seine revolutionären Ideen wirken bald naiv, ja tragikomisch. Der Ich-Erzähler, ein junger deutscher Dichter, folgt dem Bären auf seiner symbolischen Reise und begegnet dabei einer Reihe fantastischer Gestalten: Feen, Hexen und sprechende Tiere.

Was mich besonders fasziniert hat, ist die Mischung aus Spott und Ernst. Heine kritisiert sowohl die politischen Utopien seiner Zeit als auch die literarische Verklärung der Natur. Doch er tut dies mit Leichtigkeit, mit musikalischer Sprache und einem …

William Golding: Lord of the flies (Paperback, 1997, Riverhead Books)

Lord of the Flies is a 1954 novel by Nobel Prize–winning British author William Golding. …

Wenn die Zivilisation zerbricht: Meine Lektüre von William Goldings Herr der Fliegen

Herr der Fliegen von William Golding, erstmals 1954 veröffentlicht, ist für mich weit mehr als nur ein Abenteuerroman über gestrandete Jungen auf einer einsamen Insel. Es ist ein düsteres Gleichnis über die Abgründe der menschlichen Natur, über Macht, Angst und den schmalen Grat zwischen Kultur und Barbarei.

Die Geschichte beginnt mit einem scheinbar klassischen Szenario: Nach einem Flugzeugabsturz finden sich britische Schuljungen ohne Erwachsene auf einer unbewohnten Insel wieder. Zunächst versuchen sie, eine Ordnung nach bekannten gesellschaftlichen Regeln aufzubauen. Ralph wird zum Anführer gewählt, der muschelförmige Gegenstand dient als Symbol für Rede und Struktur. Doch je länger die Isolation andauert, desto mehr weichen Vernunft und Gemeinschaftssinn den Trieben: Angst, Gewalt und Machtgier brechen sich Bahn, verkörpert vor allem durch den Gegenspieler Jack und seine Jäger.

Was mich beim Lesen besonders erschüttert hat, ist die Radikalität, mit der Golding zeigt, wie dünn der Lack der Zivilisation ist. Die Jagd auf …

Jon Fosse: Morgen und Abend

Zwischen Anfang und Ende: Meine Lektüre von Jon Fosses Morgen und Abend

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Jon Fosses kurzer Roman Morgen und Abend ist ein stilles, poetisches Werk über das Leben, das Sterben und das, was vielleicht dazwischen liegt. Für mich war die Lektüre wie ein ruhiger Spaziergang am Rand der Welt, irgendwo zwischen Realität und Traum.

Der Roman erzählt die Geschichte von Johannes, einem einfachen Fischer. Zu Beginn wird seine Geburt geschildert, aus der Perspektive seines Vaters. Danach springt die Erzählung in den Abend seines Lebens, an den Tag seines Todes. Johannes spürt, dass etwas nicht mehr stimmt, dass sich die Welt verändert, dass er selbst sich auflöst. Doch Fosse erzählt diesen Übergang nicht mit Pathos, sondern mit großer Sanftheit, fast wie in einem langen, langsamen Atemzug.

Was mich besonders berührt hat, ist Fosses Sprache: schlicht, rhythmisch, kreisend. Die Gedanken von Johannes verlieren sich, kehren zurück, tasten nach Erinnerungen und Bildern. Es geht nicht um Handlung, sondern um Empfindung.

Morgen und Abend ist ein Buch …

Pablo Neruda: Canto general (Spanish language, 1990)

Canto General is Pablo Neruda's tenth book of poems. It was first published in Mexico …

Poesie als Stimme eines Kontinents: Meine Eindrücke zu Pablo Nerudas Canto General

Pablo Nerudas Canto General (Der große Gesang) ist für mich mehr als nur ein Gedichtband – es ist ein monumentales, poetisches Geschichtswerk, das den lateinamerikanischen Kontinent in all seinen Widersprüchen, seinem Leid, seinem Reichtum und seiner Hoffnung zum Klingen bringt.

Das Werk, das 1950 erschien, umfasst 15 Gesänge und über 300 Gedichte. Es reicht von der mythischen Entstehung der Natur bis hin zu den politischen Kämpfen des 20. Jahrhunderts. Neruda verbindet in einzigartiger Weise lyrische Sprache mit historischem Bewusstsein und macht aus Poesie ein Werkzeug des Erinnerns und Widerstands.

Besonders beeindruckt hat mich die Vielschichtigkeit der Perspektiven: Mal spricht die Stimme der Berge, der Flüsse, der Steine, mal die der namenlosen Völker, der Revolutionäre, der Unterdrückten. Nerudas Sprache oszilliert zwischen Zärtlichkeit und Zorn, zwischen Elegie und Anklage.

El Canto General ist für mich ein dichterisches Manifest, das Natur, Geschichte und Politik nicht trennt, sondern als Teil eines großen, lebendigen …

Ernest Hemingway: Schnee auf dem Kilimandscharo (German language, 2015, Rowohlt Verlag)

Zwischen Tod, Reue und der Sehnsucht nach Wahrheit: Meine Lektüre von Hemingways Schnee auf dem Kilimandscharo

Ernest Hemingways Erzählung Schnee auf dem Kilimandscharo gehört für mich zu den Texten, die man nicht einfach liest, sondern fast körperlich spürt. Es ist eine Geschichte über das Sterben, über verpasste Chancen, über die unerbittliche Ehrlichkeit, die nur der Tod hervorzubringen vermag.

Im Mittelpunkt steht der Schriftsteller Harry, der auf einer Safari in Afrika mit einer infizierten Wunde im Bein im Sterben liegt. Während er regungslos im Zelt liegt und seine letzten Stunden mit seiner wohlhabenden, liebevollen, aber fremdgebliebenen Begleiterin Helen verbringt, schweifen seine Gedanken immer wieder in die Vergangenheit. In teils fragmentarischen Rückblenden erinnert er sich an die Stationen seines Lebens: verlorene Lieben, Kriegserfahrungen, verpasste Gelegenheiten, veräußertes Talent.

Was mich beim Lesen besonders bewegt hat, ist, wie Hemingway mit seiner nüchternen, klaren Sprache eine existenzielle Tiefe erzeugt, die unter der Oberfläche stetig gärt. Das Erzählte bleibt oft andeutungsweise, bruchstückhaft, aber gerade darin liegt die Kraft: in den Leerstellen, in …

reviewed Die Stimmen von Marrakesch by Elias Canetti (Süddeutsche Zeitung - Bibliothek -- [7])

Elias Canetti: Die Stimmen von Marrakesch (German language, 2004, Süddt. Zeitung GmbH)

Zwischen Geräuschen, Tieren und Menschen: Meine Reise durch Die Stimmen von Marrakesch

Elias Canettis Die Stimmen von Marrakesch (1967) ist kein klassisches Reisebuch, sondern eine Sammlung literarischer Impressionen, die mich als Leser auf besondere Weise gefesselt hat. Es handelt sich um Eindrücke, Beobachtungen und Momentaufnahmen, die Canetti während eines Aufenthalts in Marrakesch Anfang der 1950er Jahre gesammelt hat.

Die Texte wirken fragmentarisch, aber gerade diese Offenheit macht ihren Reiz aus. Canetti beschreibt Basare, Gassen, Menschen, Tiere, Geräusche und Gerüche mit einer Genauigkeit, die weniger dokumentarisch als poetisch ist. Dabei geht es nie um touristische Exotik, sondern um das, was sich unter der Oberfläche zeigt: die Würde des Marktschreiers, die Melancholie der Tiere, das stolze Schweigen der Menschen. Besonders eindrücklich sind für mich die Passagen über die Tiermärkte und über die blinden Bettler, die für Canetti fast zu Chiffren für das Menschsein selbst werden.

Was mich persönlich an diesem Buch fasziniert hat, ist der Blick, mit dem Canetti dieser fremden Welt begegnet. Es …

Ernest Hemingway: Der alte Mann und das Meer (Paperback, German language, 1999, Distribooks)

The Old Man and the Sea is one of Hemingway's most enduring works. Told in …

Stille Größe im Kampf: Meine Lektüre von Hemingways Der alte Mann und das Meer

Der alte Mann und das Meer (The Old Man and the Sea, 1952) ist ein schmaler Roman, der mich tief bewegt hat – nicht durch dramatische Handlung, sondern durch seine ruhige Kraft. Ernest Hemingway erzählt die Geschichte des alten Fischers Santiago, der nach 84 erfolglosen Tagen endlich einen riesigen Marlin an den Haken bekommt. Was folgt, ist ein stundenlanger, zermürbender Kampf auf dem offenen Meer – Mann gegen Natur, Körper gegen Erschöpfung, Wille gegen Grenzen.

Santiago ist mehr als ein einfacher Fischer. Er ist eine Figur von fast mythologischer Würde, geprägt von Stolz, Demut und einer tiefen Verbundenheit zum Leben. Während ich las, spürte ich, wie Hemingway in seiner reduzierten, klaren Sprache universelle Fragen verhandelt: Was bedeutet Erfolg? Wann beginnt Scheitern? Und wie viel Kraft liegt im Aushalten?

Der eigentliche Sieg liegt für mich nicht im Fang selbst, sondern in der Art, wie Santiago kämpft – mit Respekt, Ausdauer und …

Jane Austen, Christiane. Agricola: Die Abtei von Northanger. (Paperback, German language, 1996, Diogenes Verlag)

Northanger Abbey is both a perfectly aimed literary parody and a withering satire of the …

Ironie hinter gotischen Mauern: Mein Blick auf Jane Austens Die Abtei von Northanger

Die Abtei von Northanger (Northanger Abbey) war für mich eine überraschende und gleichzeitig erfrischende Lektüre. Jane Austen spielt hier nicht nur mit den Erwartungen eines romantischen Romans, sondern auch mit denen der Leserinnen und Leser – und das auf höchst charmante Weise.

Die Geschichte folgt der jungen, naiven Catherine Morland, die aus ihrer ruhigen Heimat in die gesellschaftlich aufgeladene Welt von Bath eintaucht. Catherine ist keine Heldin im klassischen Sinn – und genau das macht sie so sympathisch. Sie liebt Schauerromane, ist verträumt und gleichzeitig oft sehr ehrlich in ihrer Wahrnehmung.

Während sie sich zwischen Freundschaften, gesellschaftlichen Regeln und einem aufkeimenden Liebesinteresse zu Henry Tilney bewegt, entlarvt Austen auf kluge Weise die Mechanismen sozialer Inszenierung und weiblicher Rollenzuweisung ihrer Zeit.

Besonders faszinierend fand ich Austens satirischen Ton: Sie nimmt sowohl die Gothic-Romane ihrer Epoche aufs Korn als auch die naive Vorstellung, das Leben müsse wie ein Roman verlaufen. Als Catherine …