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Wolfgang Koeppen: Der Tod in Rom (German language, 1994, Suhrkamp) 5 stars

Der Abschluss der Trilogie

5 stars

Mit "Der Tod in Rom" schloss Wolfgang Koeppen 1954 seine Trilogie des Scheiterns ab, die er 1951 mit "Tauben im Gras" begonnen und 1953 mit "Das Treibhaus" fortgesetzt hatte. Wobei zu sagen ist, dass die Trilogie des Scheiterns ein Begriff des Verlags ist, denn Koeppen hatte die Romane ohne diese Intention einzeln veröffentlicht. Allen drei Romanen ist gemein, dass sie die Deutschen und ihre Gesellschaft nach dem Ende des Krieges und den Beginn der bundesdeutschen Zeit zeigen mit all ihren Brüchen und Kontinuitäten. Im "Der Tod in Rom" erzählt Koeppen anhand der beiden Familien Pfaffrath und Judejahn von den deutschen Sehnsüchten nach Italien und der ewigen Stadt, in die sie entfliehen, um ihre eigene Vergangenheit vermeintlich hinter sich zu lassen. Die beiden Familien stehen beispielhaft für die Deutschen an sich. Beide haben in der Nazizeit Schuld auf sich geladen, sei es als Mitläufer oder als überzeugte Nationalsozialisten. Nur die jeweiligen Söhne der beiden Familien stellen sich, jeder auf seine Weise, der eigenen Vergangenheit. So begegnen wir am Beginn Siegfried(!!) Pfaffrath, der als zeitgenössischer Komponist mit seinem Mentor, dem Dirigenten Kürenberg, für einen Kongress nach Rom gereist ist, um dort seine neues symphonisches Werk zur Aufführung zu bringen. Als zweite Person lernen wir Gottlieb(!!) Judejahn, Siegfrieds Onkel, kennen, ein ehemaliger SS-General, der nach dem Krieg in Nordafrika untergetaucht ist und dort im Dienste eines Diktators steht. Er ist in Rom, um sich mit Siegfrieds Vater zu treffen, der ihm dabei helfen soll, ihm die Rückkehr nach Deutschland zu ermöglichen. Dieser Friedrich Wilhelm Pfaffrath verkörpert den den antidemokratischen deutschen Mitläufer, der im Nationalsozialismus seinen Aufstieg begründete und diesen auch in der Bundesrepublik nach einer kurzen Unterbrechung fortsetzen konnte. Auch Judejahns Sohn Adolf(!!) ist in Rom, um sich als Diakon auf seine Priesterweihe vorzubereiten. Es ist hier ersichtlich, dass Adolf und Siegfried für ihre Familien die schwarzen Schafe sind. Beide waren in der Nazizeit Schüler einer Napola. Beide versuchen ihrer Vergangenheit und ihren Familien zu entfliehen, Siegfried in der Kunst und Adolf in der Religion. Während Siegfried schon lange mit seiner Familie gebrochen hat, zögert Adolf noch. Adolf, Siegfried und Gottlieb erhalten bei Koeppen den meisten Raum. Doch auch die restlichen Familienmitglieder und weitere Nebenfiguren wird eine Stimme gegeben. Koeppen konzentriert sich nicht auf eine Erzählstimme, weder auktorialer Erzähler noch Ich-Erzähler. Sein Erzählstil ist sehr fragmentiert. Man befindet sich beim Lesen immer wieder in einem anderen Kopf. Da kann es schon einmal passieren, dass Koeppen einen Gedankengang Siegfrieds mitten im Satz abbricht, um zu Gottlieb Judejahn zu wechseln. Dazwischen finden sich dann auch Passagen eines allwissenden Erzählers, der einen Überblick über das gesamte Panorama gibt. Doch erfolgen diese Wechsel nicht aprupt. Vielmehr wird ein Gedanke oder ein Motiv aufgegriffen, und dies mit der nächsten Person verknüpft. Dies macht die Lektüre nicht einfach, aber ausgesprochen intensiv. Und es beeindruckt, mit welcher Klarsicht Koeppen schon Mitte der fünfziger Jahre ein Sittenbild des Nachkriegsdeutschland zeichnet und seinen Mitmenschen den Spiegel vorhält und die dunkle Vergangenheit immer wieder gnadenlos ins grelle Licht zieht. Daher überrascht es wenig, dass der Roman nur wenig Resonanz in der zeitgenössischen Kritik fand. Doch im Laufe der Zeit wurde immer stärker anerkannt, dass Koeppen mit seiner Trilogie des Scheiterns die wohl wichtigsten Romane der deutschen Nachkriegszeit geschrieben hat. Umso bedauerlicher ist, dass "Der Tod in Rom" Koeppens letzter Roman blieb. Sein Verleger Siegfried Unseld bemühte sich, Koeppen die besten Bedingungen für das Schreiben eines weiteren Buches zu bieten, aber Koeppen scheiterte. Dies lässt sich genauestens in dem 500 Briefe umfassenden Briefwechsel nachlesen, der unter dem Titel "Ich bitte um ein Wort ..." erschienen ist. Somit bleibt dem Leser nichts weiter übrig, als immer wieder einmal zu diesen drei Büchern zu greifen, um sich an Koeppens Genialität zu erfreuen.