Die dargestellten Bauern erscheinen als traditionsverwurzelte, bodenständige, altehrwürdige Gestalten, als Träger konservativ-völkischer Tugenden wie Familien-, Sippen- und Heimatgefühl. Gemütswerte verbinden sie mit Ausdauer und Kraft. Von den solchermaßen verklärten Bauerngestalten erhoffte sich Schlaf im Sinne Langbehns ein Wiedererstarken deutschen Rassengeistes:
Hier blüht Innenversenkung, die mit zäher, treuer Liebe die Wurzeln der Seele tiefer und unzerreißlicher in dies stille, warme Heimatleben einsenkt; aus der zu seiner Stunde, auch der Zorn erwächst und die gerechte Vergeltung, alter Furor Teutonicus, dessen Rasse, wie schon einst, wo's icht anders geht, mit dem Schwert die Grenze setzen wird seines Bishierherundnichtweiter! - - (S.72f.).²⁸
Die bäuerlichen Tätigkeiten werden nicht als soziale Milieustudien oder idyllische Genreszenen wiedergegeben, sondern ins Zeitlos-Exemplarische erhoben.
Am Anfang des Kapitels "Kornduft" steht der Ich-Erzähler am Fenster und blickt sinnierend in die abendliche Landschaft; angeregt durch den Duft des Getreides, tauchen in ihm Vorstellungsbilder vom jahreszeitlichen Wechsel des landwirtschaftlichen Alltags auf. Das Staturische, Würde und Kraft Ausstrahlende der Situationen erinnert an bildnerische Darstellungen im Umkreis der Heimatkunstbewegung und an die Monumentalisierung bäuerlichen Lebens, wie sie in der Zeit des Nationalsozialismus üblich wurde. ²⁹ Der pflügende oder säende Landmann war ein beliebtes Motiv der zeitgenössischen Malerei. Die entsprechenden Szenen in "Ein Wildgatter schlag' oich hinter mir zu..." wirken wie eine literarische Umsetzung solcher Bilder:
Das langsame, kopfnickende, stumme Vorwärts der dicken Bauernpferde oder der bedächtigen, kraftvoll heroisch schönen Stiere vor dem Pflug [...] Der Bauer, die Fäuste um die Sterzen gepreßt, mit Ho! und Ha! und Hott! und Hüst! oder einem gelegentlich derben Fluch [...] Und der Bauer, das Säelaken vorgebunden, die Breite abschreitend mit dem rhythmischen Schwung des die Saat ausschleudernden Armes; wenn man ordentlich hinsieht, kann man wohl auch noch aus der Ferne den fein verhuschenden Golddunst wahrnehmen, den der ausfliegende Schauer der Körner in der Luft macht (S.33).
Der Bemerkung vom genauen Hinsehen zum Trotz handelt es sich gerade nicht um die Wiedergabe objektiv beobachteter Vorgänge, sondern um eine innere Schau des in Gedanken versunkenen Erzählers. "Es ist Heimat, Vaterland, tiefstes Eingwurzeltsein", heißt es (S.33f.). Die in ihm aufsteigenden urtümlichen Bilder projiziert er auf die Erscheinungen, die bäuerliche Tätigkeit wird zum religiösen Dienst an der Natur erhoben und mit völkischen Akzenten versehen.
Gegen Ende der Skizze "Kornduft" beschwört der Erzähler ein kommendes Menschengeschlecht, das seinen Ausgangspunkt in der bodenständigen, von der entarteten Großstadtzivilisation abgehobenen bäuerlichen Tradition hat. In den anschließenden Abschnitten wird der Gedanke der zukünftigen völkischen Erneuerung mit rassentheoretischen Überlegungen verknüpft gemäß dem in Schlafs naturphilosophischen Schriften genauer dargelegten Evolutionskonzept (vgl. Kapitel IX). Im Rahmen einer organischen Entfaltung der Natur sieht er die gemanisch-deutsche Rasse als eine den Entwicklungsprozeß vorantreibende Elite und Wegbereiter eines höheren Menschentums. Ihr Machtwille stellt sich damit als naturgesetzliche Notwendigkeit dar und erscheint im Unterschied zu den Hegemonialbestrebungen anderer Nationen gerechtfertigt. Indem die Vorherrschaft des deutschen Volkes der gesamten Menschheit zugute kommt, kann der Patriotismus zur sittlichen Aufgabe im Dienste der Evolution, zur "religiöse[n] Gottpflicht" (S.56) erklärt werden. Das von Schlaf entworfene heroische Bild des niedersächsischen Bauerntums bedeutet vor diesem Hintergrund keine Verfälschung der Realität, die Darstellung entspricht vielmehr seinem Naturalismus-Konzept, insofern dieses - wie in Kapitel V gezeigt wurde - auf Erfassung der tieferen Gesetze der Natur zielt, d.h. hier der durch rassenbiologische Faktoren vorangetriebenen Evolutionsvorgänge.
Die in "Ein Wildgatter schlag' ich hinter mir zu..." hervortretenden Ansätze eines Neumenschentums werden mit konkreten zeitgeschichtlichen Ereignissen in Verbindung gebracht. Während solche Bezüge in den früheren "Dingsdda"-Skizzen fast völlig fehlten, allenfalls in Form ironisch kommentierter Zeitungsnotizen auftauchten, dienen sie nun zur Begründung der Notwendigkeit einer völkischen Erneuerung. Erschreckend undifferenziert reproduziert Schlaf dabei die Propagandaklischees der politischen Rechten in der Weimarer Republik. Von der "Dolchstoßlegende" über den Versailler "Schandvertrag", "Kriegsschuldlüge", "Rechtsbrüche" der Entente bis hin zur "betrügerischen Politik" Wilsons und dem pazifistischen "Völkerbrei" macht er sich das zeitgenössische Vokabular zu eigen. Deutrschland erscheint von machtgierigen Feinden umkreist, wobei sich amerikanischer Großkapitalismus und englischer Krämergeist besonders hervortun. Ein extremes Beispiel solcher Schlagzeilenrealität sei hier zitiert, weil es zu zeigen vermag, wie unkritisch Schlaf in Inhalt und Sprachverwendung den konservativ-nationalistischen Vorurteilen der Zeit folgte. Der Erzähler reflektiert während der Bahnfahrt nach Dingsda über die gegenwärtigen Zustände des Deutschen Reiches und ihre Ursachen:
Im Weltkrieg die Sünden der Etappe! Die Schmach des "Dolchstoßes von hinten", da das letzte auf dem Spiel stand! Der Kriegswucher, das Schiebertum, die Streiks, die Greuel der Putsche! Der Zwist der Parteien, die Ohnmacht der Regierungen! Die Beamtenplage, der Luxus, die Vergnügungswut, die Unzucht, die grassierenden Morde, die Verwahrlosung der Jugend! Der Niedergang des Geistigen, der Künste! Der Zusammenbruch der Religion! (S.4).
Diese verzerrte Wahrnehmung der politischen Wirklichkeit bildet die affektive Grundlage für die völkisch-patriotischen Appelle des vierten "Dingsda"-Bandes.
Am Anfang von "Wildgatter schlag' ich hinter mir zu..." steht ein prosalyrischer Vorspann, dessen Überschrift zum Gesamttitel des Bandes erhoben wurde. Das lyrisch-erzählerische Ich begibt sich, die Zivilisation hinter sich lassend - was durch das Zuschlagen des Wildgatters angedeutet wird -, in die Bergeinsamkeit. Hier kommt es angesichts der Stille und Weite der Landschaft zu einer Entgrenzung des Ichs, die wie in vergleichbaren Situationen früherer Skizzen als Sinneserweiterung erfahren wird. Im identischen Einklang mit den Tönen und Formen der Natur löst sich das Tagesbewußtsein auf. Anders aber als in den frühen "Dingsda"-Geschichten, in denen die teils impressionistischen teils ironisch gezeichneten genrehaften Dorfbilder weitgehend unberührt von den monistisch-religiösen Naturerlebnissen des Ich-Erzählers blieben, erfaßt in "Ein Wildgatter schlag' ich hinter mir zu ..." die wirklichkeitsenthobene Schau der prosalyrischen Einleitung auch die Darstellung der Alltagsrealität der folgenden Skizzen, die einem völkisch akzentuierten Evolutionskonzept verpflichtet ist. Ausdrücklich macht der Erzähler darauf aufmerksam, daß er nicht des dörflichen Stillebens wegen nach Dingsda gekommen sei, sondern um sich der "ausströmenden Urkraft" der Landschaft hinzugeben (S.10f.), die ihm zum Hoffnungszeichen für die Überwindung des vaterländischen Elends wird. Aus dieser Einstellung heraus erfolgt die völkische Heroisierung nicht nur des niedersächsischen Bauerntums, sondern auch der Natur selbst. Das Rauschen des Waldes, in der "Sturm"-Skizze aus "Tantchen Mohnhaupt und Anderes" Ausgangspunkt kosmischer Alleinheitsvisionen, wird nun auch als vaterländischer Schauer erfahren (S.12); die Eichen erscheinen als "Deutschlands und deutschen Volkswesens Baum und Sinnbild" (S.84), sie verbürgen die Erwähltheit des deutschen Volkes, seine ewige Dauer und seinen baldigen Wiederaufstieg.
Der vom Ausgang des Ersten Weltkrieges und der weiteren politischen Entwicklung enttäuschte Schlaf läßt seinen Erzähler aus der Berührung mit der niedersächsischen Landschaft und ihrer bäuerlichen Bevölkerung ein neues Kraftgefühl schöpfen. Voraussetzung eines solchen vaterländischen Erlebens und der damit verknüpften Visionen einer Erhebung und Vollendung Deutschlands ist die Entrealisierung der Wahrnehmung, es kommt zur heroisierenden Verklärung der dörflichen Welt. Der Stadt-Land-Gegensatz, der sich in dem "Dingsda"-Band von 1913 in einem umfassenden monistischen Naturgefühl auflöste, tritt wieder in Kraft. Anders als bei dem in den Skizzen der 90er Jahre angedeuteten Zivilisationsgefälle zugunsten der Stadt wird nun der entwurzelten städtischen Welt die heilende Kraft der Scholle gegenübergestellt.
Die völkische Ausrichtung des monistischen Naturalsismus in "Ein Wildgatter schlag' ich hinter mir zu ..." hat ihre Parallelen in den gleichzeitigen kunsttheoretischen Überlegungen Schlafs (vgl. Kapitel V). Seine Überzeugung, daß die ästhetische hinter der weltanschaulichen Zielsetzung zurückzutreten habe, führte in der dichterischen Praxis zu einer Ideologisierung, die auch stilistische Konsequenzen hatte. Die Sprache nähert sich der programmatischen Wissenschaftsprosa der theoretischen Schriften an. Die Erlebnisunmittelbarkeit früherer "Dingsda"-Skizzen und der "Frühlings"-Dichtung, die sich an Höhepunkten des Alleinheitsfühlens in einem Aufbrechen der Syntax, in Wortgestammel und Verstummen ausdrückte, vermischt sich mit spekulativen Reflexionen. Selbst die Widergabe naturmonistischer Wahrnehmung in der prosalyrischen Einleitung gibt den dahinter stehenden theoretisierenden Autor zu erkennen, wodurch sie ihren spontanen Charakter einbüßt, sie erweist sich als rhetorische Strategie im Dienste eines weltanschaulichen Konzeptes.
²⁸ - Diese und die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf Johannes Schlaf: Ein Wildgatter schlag' ich hinter mir zu ... Vaterländisches aus Dingsda, 1922.
²⁹ - Zu den volkhaft-archaischen Tendenzen in der Malerei um 1900 vgl. Richard Hamann/Jost Hermand: Stilkunst um 1900, 1973, S.344ff. Zur heroisierenden Darstellung des Bauerntums im Nationalsozialismus vgl. die Abbildungen und Erläuterungen im Kapitel "Die Darstellung des Bauern", in: Kunst im 3.Reich. Dokumente der Unterwerfung, 1979, S.310-346.