Ich bin hin und hergerissen. Ich kann nicht leugnen, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte, aber gleichzeitig halte ich die Protagonistin für eines der langweiligsten Personen, über die jemals ein Buch geschrieben wurde. Die Erzählerin selbst schien so gelangweilt von ihr zu sein, dass sie immer wieder die Sichtweise anderer Charaktere übernahm und aus deren Perspektive schrieb.
Am Anfang war ich noch ganz bewegt von Fannys Geschichte. Dass sie aus ihrer Familie gerissen wurde und in eine Umgebung gebracht wurde, in der sie vielleicht bessere Chancen zu gedeihen hatte, aber in der ihr von einer fürchterlichen Tante, Mrs. Norris, gezeigt wurde, dass sie immer an zweiter Stelle stehen würde, dass sie nicht dem Rang der Bertrams entsprach und dass sie in all dem auch noch dankbar sein soll. Erinnerte mich an die Erzählungen von Adoptivkindern und wie verloren diese aufwuchsen, weil sie ihr Unglück nichtmal artikulieren dürfen. Ich glaube ihr Charakter entwickelte sich diesbezüglich auch deshalb so sittenorientiert – sie sah es als ihre Pflicht. Vielleicht war das auch ihre Art von ,,Widerstand“ - das einzige dem sie entsprechen konnte, in einer Welt in der v.a. Geld und Schönheit zählen.
Das ändert aber auch nichts daran, dass eben dieser Charakter dann doch sehr langweilig war; und sich an allem möglichen stieß, an einem Theaterstück, daran dass Miss Crawford keinen Geistlichen heiraten wollte, an jedem Ungehorsam Autoritätspersonen gegenüber.
Dass Edmund und Fanny am Ende noch zusammengekommen sind, halte ich für den größten Witz und überhaupt nicht befriedigend für ein 425-Seiten-Buch, in dem Edmund erst in den letzten zwei Seiten seine Liebe für sie entdeckt hat, während er noch nach 9/10 des Buches gesagt hat, er könne nie eine Frau so lieben wie Miss Crawford. Fanny, die in ihrem Leben nichts lieber tun will als dienen und gewertschätzt werden darin, wird von der eigenen Erzählerin so behandelt wie etwas Nebensächliches, deren Story man schnell noch abspulen kann wie die eines Sidekicks. Weiß nicht ob darin wieder der Mastermind von Austen zutage tritt; ein pompöses Ende hätte für dieses nette und nicht weiter auffällige Mädchen, das sich über alles erschrickt, andauernd beschämt ist, sittlich und sehr tugendhaft ist, vielleicht auch gar nicht funktioniert.
Fanny gewinnt ihren Liebsten, der sie im Buch nie mehr als ,,affectionate" anschaut, weil jemand anderes eine skandalöse Affäre hat. Das nehme ich aus dieser Story mit. Sie ,,gewinnt", aber inwieweit sie das tut, das bleibt für mich in der Schwebe; noch im letzten Viertel des Buches sagt sie, dass Edmund sie nicht richtig kennt. Ich finde Edmund blass; er hat wie richtig erwähnt Fanny von jung auf geformt und war die einzige positive männliche Person im Haus Mansfield; und im Laufe des Buches zeigt sich aber kaum mehr ernsthaftes Interesse an ihr, das über Geschwisterlichkeit hinausgeht.
Andere Charaktere waren interessanter. Miss Crawfords Gefühle zu Edmund fand ich soviel verständlicher; beide hatten ernsthaftes Interesse aneinander, aber Miss Crawford hat auch ihr eigenes materielles Interesse nie geleugnet. Und was die beiden ineinander auslösten, hat man wirklich gespürt, und auch, warum sie nicht voneinander lassen konnten. Auch Mr. Crawford fand ich super spannend: Ein nicht besonders schöner kleiner Mann, der es mit Charme und Eleganz schafft, alle Köpfe zu verdrehen und sich dann ernsthaft und richtig in Fanny zu verlieben und ihr ohne Unterlass den Hof zu machen. Er ist ein manipulativer Plagegeist, aber man hat verstanden: Fanny bewegte ihn wirklich, und dass so ein schrecklicher Mensch sich verändern kann, war die eigentliche interessante Story - die das Buch dann mit dem Skandal auflöste, in die er durch seine alte Eitelkeit geriet.
Tom fand ich spektakulär. Wäre er länger in Mansfield Park geblieben und sein strenger Vater länger abwesend, er hätte ein Theaterstück mit den jungen Leuten aufgeführt und sogar Fanny dazu gebracht, endlich aus sich herauszukommen. Diese Stelle war ein sehr komischer Punkt im Buch: Hier hätte etwas ganz anders kommen können. Ich habe mich auch kurz gefragt, ob Tom zur eigentlichen Liebe von Fanny werden könnte, weil er der einzige zu sein schien, der sie ein bisschen aus ihren eigenen Verklemmungen reißen konnte, es wäre so spannend gewesen, wie Fanny sich als actress entwickelt hätte! Es war so schön zu sehen wie alle eifrig waren mit dem Lernen ihrer Texte, und man hat zum ersten Mal gemerkt: Das sind alles Teenager, die gerade so richtig aufblühen, die was eigenes kreieren ...
Und dann so ne herbe Enttäuschung, was die frühe Erscheinung des Vaters der Familie in ihnen bewirkte: Alle Pläne abgebrochen, das aufgebaute Theater aus dem Haus geschafft, alle brav beim Vater antanzend, alle demütig; und der Vater, der gerade von seinen Sklavengeschäften in Antigua zurückkehrte, auch so selbstverständlich darin, dass jetzt alles wieder zur Ruhe und Ordnung zurückkehre; dass der Rest des Hauses sich gefälligst IHM anzupassen habe. Ich war so erstaunt wie ruhig und demütig die Kinder das annahmen, und nur die eine Tochter zeigte ihre Bitterkeit: indem sie einen Mann heiratete, den sie eigentlich verachtete, um endlich raus aus dem Haus ihres Vaters zu sein. ,,In all the important preparations of the mind she was complete: being prepared for matrimony by an hatred of home, restraint, and tranquillity; by the misery of disappointed affection, and contempt of the man she was to marry." Da wurde mir erst klar, dass die Erzählerin nicht ,,reliable" ist, dass die tugendhafte Sicht von Fanny nicht unbedingt das ist, wie man jetzt über diese Story urteilen sollte (denn Fanny fand es natürlich erleichternd, dass das Theaterstück abgebrochen wurde).
Später darf der Vater dann nochmal ein bisschen einsichtig sein, dass auch er Fehler begangen hat, weil er so streng war, um die Verwöhnungen der Töchter durch deren schreckliche Tante, Mrs.Norris, auszubügeln, ,,he had but increased the evil by teaching them to repress their spirits in his presence so as to make their real dispositions unknown to him, and sending them for all their indulgences to a person who had been able to attach them only by the blindness of her affection, and the excess of her praise."
Alles in allem fand ich es gut geschrieben, auch wenn ich Fanny Price vermutlich bald vergessen werde, aber das ist vielleicht kein Wunder bei einer Geschichte, in der sie so an den Rand gerät.